Rede zur Eröffnung "Welt Ohr Klang" José Olivier


Foto Yves G. Noir
Foto Yves G. Noir

José F. A. Oliver


wurde 1961 in Hausach im Schwarzwald geboren, wo er als freier Schriftsteller lebt. Dort ist er auch Kurator des von ihm
gegründeten Literaturfestivals Hausacher LeseLenz(www.leselenz.com).
Bei Suhrkamp erschienen u.a. fahrtenschreiber, Gedichte, und Mein andalusisches Schwarzwalddorf, Essays. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. dem Adelbert-von-Chamisso-Preis (1998),
dem Kulturpreis Baden-Württemberg (2007) oder dem Basler Lyrikpreis (2015). Veröffentlichungen 2015/16: „Fremdenzimmer“. Essays.
weissbooks.w. Frankfurt a.M, 2015; „21 Gedichte aus Istanbul, 4 Briefe
und 10 Fotow:orte“. Matthes & Seitz, Berlin 2016.

„Der Dichter John Keats sprach von Negative Capability - und
meinte damit das Vermögen, im Ungewissen und im Unentschiedenen
auszuharren. Das ist nicht gleichbedeutend mit Zögerlichkeit oder
einem Ausweichen vor Entscheidungen. Es geht um eine Toleranz
gegenüber dem, was Ihnen vorerst unzugänglich erscheint, man könnte
sagen: das Gegenteil von Fundamentalismus.“
Monika Rinck


Rede vom 11. Dezember 2015 zur Gründung der Chopin Academy

Welt Ohr Klang

Eine Stimmen-Skizze in drei Orten und einem Vor-den-Orten


Vor-den-Orten: Das Lied
Intro-Lied: nana von Federico García Lorca (Gesangliche Interpretation)1


Erster Ort: die Welt
oder Wir sind nur Gast auf Erden und wandern ohne Ruh


Meine sehr verehrten Damen und Herren, lieber Eckehard, werte Freunde
der Musik, wer eine sinnbildliche Übertragung in seinen Worten heranzieht,
will natürlich die Phantasie derjenigen anregen, die einen Text lesen
oder hören, und das, was er sagt, einem inspirierten Bewusstwerden zur
Seite stellen. Eine Variation schaffen und doch beim Thema bleiben. Eine
Unterfütterung des zu Sagenden. Insofern – denken Sie bitte an einen
festlich gedeckten Tisch, um diesen Vergleich nicht zu scheuen, insonderheit
heute, da diese Akademie mit einem Eröffnungskonzert und Chopin
würdigend ihren angelegten Weg ins Unbestimmte der künftigen Zeit

beginnen darf, und um es mit der Erkenntnis Monika Rincks zu wiederholen:
„das Vermögen, im Ungewissen und im Unentschiedenen
auszuharren.“ Das wäre eine guter, weil einladender Weg anlässlich
der Gründung der International Fryderyk Chopin Music Adacemy.
Ein Tisch also, ein „wohltemperiertes“ Mahl und, und, vor allem dies,
Gäste, die herzlich willkommen sind.


Ein gedeckter Tisch. Ja, denn bisweilen ist Musik ein Tafel-Luxus der
Ohren. Kein aus den Fugen ausfransendes Gelage, sondern eine fein
bereitete Einladung und angerichtet wird neben den Geschichten, die
die Geladenen mitbringen und erzählen und der GESCHICHTE, die sie
allesamt verbindet (oder auch trennt) das Lautvermächtnis der W:orte.
Das Wort als Atem und die Musik ihm s:einen Rhythmus offenbarend.
Musik, in ihrer – au fond – ungebändigten und nicht zu bändigenden
Natur, Klang zu sein und immer Klang w:erden zu wollen. Weltenrhythmen
und Rhythmen aus der Welt in die Welt und für die Welt. Ein
Ur-Laut-Sonaten-Horizont. Die Notenschlüssel geben dabei vor, sind ihr
gleichsam Tafelsilber und Hand, die führt, die zittert vor Begehren, eins zu
sein mit ihr. Vor Zärtlichkeit und vor Verlangen eins. Vor Demut schließlich
und vor Respekt, der sich im Sinn der Sinne schöpft. Selbst dort, wo
das Essgeschirr nicht die Verfeinerung des mythologischen und symbolischen
Dreizacks erfahren hat, die Teller weder aus Limoges, Meißen oder
aus dem alten China stammen oder die schwere Tischdecke aus Brokat
und Samt über einem festlich geweißtem und gestärktem Tuch aus Damast
fehlt (– eine Absage an das bloße Holz – es könnte ja tönen, das Holz, und
ein Resonanzkörper des alltäglichen Überlebens sein und der pragmatischen
Notwendigkeit, auf ihm das Mahl beizeiten einzunehmen); bisweilen
ist Musik, ein Ohrenschmaus mit unerwartet einfachen Zutaten, die so
einfach nicht sind, wie beispielsweise im Cante Jondo, der in Andalusien
eine rhythmische und klangliche Synthese zum Ausdruck bringt, die von
weit herkommt und immer Gegenwart bedeutet. Ein Gesang aus Not und
Elend, Einsamkeit und Pilgerschaft. Ganz ohne Tisch und auf dem nackten
Boden das schüttere Mahl kostend. Wenn dann gesungen wird ist Glut, ist
Feuer, ist eine Brennen nach – Leben und Liebe, Liebe und Leben – wider
den Tod.


Was Sie soeben gesanglich vernommen haben, meine sehr verehrten
Damen und Herren, ist ein Wiegenlied, war ein melancholisches, trauergewobenes
und deshalb so hoffnungsfroh endendes Wiegenlied. Ein Krippenlied,
das Federico García Lorca im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts

aufgestöbert hatte, als er im Auftrag Manuel de Fallas, dem hochgeschätzten
und weltberühmten Komponisten aus Granada, durch die andalusischen
Dörfer gezogen war, um jene Volks-Lieder (canciones populares) zu
sammeln, die in den entlegensten Winkeln im gebirgigen und küstenreichen
Andalusien von uralten Überlieferungen kündeten, und diese dem
maestro, Don Manuel de Falla, in jene einzigartige Stadt zurückzubringen,
die unter der architektonischen und künstlerischen Patenschaft der
Alhambra nicht nur das Christentum mit seinem musikalischen Erbe zu
Hause wusste, sondern auch die hebräischen und maurischen Ur-Laute,
die dann im 15. Jahrhundert im Gehör der Zigeuner, als diese Wandermenschen
in Andalusien gestrandet waren, zur Kristallisation einer
Weltmusik wurde.
Die nana2 von Lorca, meine Damen und Herren, hat Spanien während des
Bürgerkrieges zwischen 1936 bis 1939 und unmittelbar danach, aber
auch während der großen Armuts-Auswanderung spanischer Gastarbeiter
gen Nord-Europa – nach Frankreich, Österreich, der Schweiz, nach
Deutschland und Schweden – millionenfach verlassen.
Auch Mutter sang dieses Lied. 1961, im Jahr meiner Geburt.
Im Schwarzwald. Unweit von Lahr.
Und so hörte ich diese alten Flamenco-Klänge und ihre nana freilich in der
Interpretation der mir vertrautesten Stimme meiner Kindheit; einer
Stimme, die das Instrumentation Lorcas – er hatte dieses Wiegenlied für
Klavier arrangiert – wohl bekannt gewesen sein musste. Sie sang Lorca
und ich hörte Lorca. Ohne zu wissen, dass es ein musikalisches Fundstück
Lorcas war.
Wie bereits angedeutet spricht aus diesem Wiegenlied Not und Elend,
die der Not verschwisterte Pein unterwegs sein zu müssen – verfolgt und
getrieben. Einsamkeit und Pilgerschaft also.
Wer mag bei diesem Lied nicht an die Wanderungen denken, die wir im
Augenblick erleben? Ich zumindest komme nicht umhin, die Bilder, die
wir tagtäglich sehen, mit diesem Lied in Verbindung zu bringen.


Ich habe diese nana in späteren Jahren auf der ganzen Welt gesungen:
in Australien, im Sydney Opera House, auf den Philippinen in Manila am
dortigen Goethe-Institut und dem ebenfalls in der Hauptstadt ansässigen
Instituto Cervantes, in den USA – in New York, San Francisco und Atlanta,
in Kanada, in Brasilien, in Argentinien und auf Kuba, in der Westerkerk
in Amsterdam zwischen Prinsengracht und Keizersgracht oder in den
Walliser Bergen in Leukerbad, in Helsinki und in Warschau, London,
Paris, Berlin, in Hausach und heute Abend, hier in Lahr.

Ich könnte die Reihung der Länder, Städte und Orte ergänzen, aber dann
fände die Aufzählung nur schwer ein Ende.
Ich habe es gesungen dieses Wiegenlied – auf Spanisch – und auf Deutsch
oder Englisch oder Französisch lesend, meine Gedichte rezitiert. Überall.
Und überall – und das war das eigentliche Ereignis – überall wurde
verstanden, was ich sang, auch dort, wo das Publikum kein Spanisch
sprach, nur dem Klang der Sprache folgen konnte und deshalb auch
zumeist keine wesentliche Ahnung vom Cante Jondo als eine der Ausdrucksformen
des Flamenco hatte, zumindest nicht mit dem Ansprach
darüber fundiert „philosophieren“ zu können. Erlauben sie mir das Wort
„philosophieren, weil einer der profunden Kenner und Interpreten des
Flamencos, der Dichter Felix Grande, einst über den Flamenco-Gesang,
den tief inneren Sang, den Cante Jondo philosophisch konstatieren sollte:
„Im Augenblick des Singens kristallisiert sich in der Stimme des Sängers
die Leidensgeschichte eines ganzen Volkes.“
Ja, dachte ich, als ich diese Zeilen zum ersten Mal las – welch trefflich
philosophische Auslegung: Musik ist Poesie und Poesie ist Musik.
Die Poesie einer Wanderung. Einer Menschenwanderung.


Zweiter Ort: das Ohr
oder Das Ohr braucht Stille, um zu hören


Wer, meine sehr verehrten Damen und Herren, hört wem zu, wenn ich
singe? Wer hört wem zu, wenn ich ein Musik-Instrument meines w:erden
lasse? Bin ich es, der sich der Musik anvertraut, indem sie aus mir
entsteht? Oder ist sie es, die sich mir anvertraut, weil sie sich in mir
schöpft und ich in ihr? Der einzige Atemzug einer Synthese?
Es ist, so bin ich der festen Überzeugung, immer ein sich seelisch
schließender und öffnender Prozess der Einsw:erdung – hin zur Stille.
Stille wohlbemerkt, keine Hinwendung ins Schweigen.
Nur so verstehe ich die weltbewegenden und weltprägenden Zeilen des usamerikanischen
Lyrikers und Nobelpreisträgers T.S. Eliot, der in St. Louis,
Missouri, in den USA gebürtig, in seinen jungen Erwachsenenjahren
in Harvard und an der Pariser Sorbonne Philosophie und Literatur und
Mathematik studiert hatte, und 1965 als britischer Staatsbürger im
Klanggewebe des historischen Ursprungs auch des us-amerikanischen
English-sounds, in London nämlich, starb, wenn er, der sogar den
„britischen“ Akzent angenommen hatte, in seinem Gedichtzyklus
„Four Quartets“ – („Vier Quartette“) schreibt:


Words move, music moves
Only in time; but that which is only living
Can only die. Words, after speech, reach
Into the silence. Only by the form, the pattern
Can words or music reach
The stillness, as a Chinese jar still
Moves perpetually in its stillness.
Not the stillness oft the violin, while the note lasts,
Not that only, but the co-existence,
Or say that the end precedes the beginning,
And the end and the beginning were always there
Before the beginning and after the end.
And all is always now. Wors strain,
Crack and sometimes break, under the burden,
Under the tension, slip, slide, perish,
Decay with imprecision, will not stay in place,
Will not stay still. Shrieking voices
Scolding, mocking, or mereley chattering,
Always assail them. The Word in the dessert
Is most attacked by voices of temptation,
Thy crying schadow in th funeral dance,
The loud lament of the disconsolate chimera.3


Ins Deutsche übertragen aus der Feder des Lyrikers Norbert Hummelt
hören sich diese Verszeilen folgendermaßen an:


Worte, Musik bewegen sich
Nur in der Zeit; doch das, was nur lebendig ist
Kann nur sterben. Worte, nach der Rede, reichen
In die Stille. Nur durch die Form, durch das Muster
Erreichen Wort und Musik
Die Stille, wie im chinesischen Krug
In einer Stille sich immer fortbewegt.
Nicht die Stille der Violine, die die Note hält,
Nicht das allein, ein Mitvorhandensein,
Oder ein Ende, das dem Anfang vorangeht,
Und Ende und Anfang waren immer schon da
Vor dem Anfang und nach dem Ende.
Und alles immer jetzt. Worte spannen sich,


Krachen und brechen auch, unter der Last,
Unter der Spannung, gleiten, schlittern, sterben ab,
Verrotten, werden ungenau, bleiben nicht am Platz,
Halten nicht still. Kreischende Stimmen
Scheltend, spottend oder nur schwatzend,
Greifen sie immerzu an. Das WORT in der Wüste
Steht stets im Ansturm versuchender Stimmen,
Des weinenden Schattens im Begräbnistanz,
Der lauten Wehklage der untröstlichen Chimäre. 4


Wer hört wem zu? Schlicht und einfach „zuzuhören“, Gehör zu schenken
(vielleicht lügt das Ohr ja doch weniger als das Auge), ist die notwendige
Haltung, um zu begreifen, wo das poetische Wort im Gleichklang zur
Musik mitbeschworen wird, so dass ich nach diesem Gedichtausschnitt
des dem Buddhismus und christlichen Mystizismus zugwandten Schöpfers
des für das 20. Jahrhundert herausragenden Versepos „The Waste Land“
und der auch die „abstrakte Dichtung“ und seine teilweise mit musikalischen
Kompositionselementen geschriebenen Gedichte in Europa zu
einem Erfolg führte, als zweites (welt-) musikalisches Moment sagen kann:
Das Ohr hört die Zeit und die Zeiten – die vergangenen, die künftigen und
schafft sich einen Raum der Gegenwart und damit einen universellen
Raum. Denn Gegenwart sind die Geschichten und deren Geschichte, die
sie in sich tragen und ist ihre Zukunft im Augenblick der Gegenwart.
Musik ist die raumgewordene Offenheit aus und in die Seele des Althergebrachten.
Ein Raum, den John Cage deshalb in den 1950er Jahren
konsequenterweise aufbrechen musste, um das Unharmonische oder
Dis-Harmonische unseres Lebensalltages in den bis dahin musikalisch
streng durchgeordneten Raum, im Grunde streng durchkomponierten
Gebäude der Musik, ins Heutige zu übersetzen.


Dritter Ort: der Klang
oder Die Sehnsucht der Liebe ist Leben


Ich schenke Ihnen ein eines meiner unveröffentlichten Gedichte,
das ich im vergangenen Jahr in einem Kloster auf Mallorca geschrieben
habe. Ein Gedicht aus vier Strophen und jeweils neun Verszeilen:


„Le séjour plus romantique de la terre.“
George Sand


zellen 3 & 4 / auferstehung, wo?


jasminmallorca & mandelmallorca 1 duftringgestöber
die küche verströmt & nocturnal
1 freesienbouquet wie sanftregentropfen
& keine zypresse im persischen fenster
& rankt statt deren 1 efeuversponnen um notjalousien
1 heimlichgefecht gedächtnisgespinst
& sucht im verzeiten touristische wörter
im sprechtrieb verw:erden die pinien alsbald
: cabellera ardiente del viento – die wundmähne wind
am abendrotabend heridas las nubes
als wäre der kostgang die schwindsucht Chopins
1 palmtag apriltag verkühlt sich & kar-;
im sonnengeviert olivenmetaphern
jerusalemzweige die inselverwachsen
zum hund & dem hahn gesellt sich 1 esel
& wolken versäulen wie rauch von zigarren
el monte ist männlich im george-anzug streng
: empfiehlt sich die landschaft dem älteren himmel
& kein verseuchendes wortmobiliar nur bloße saudade
woher, so plötzlich das letztmahl? 1 JETZTÜBERSETZBAR?
was war ist GEDICHT 1 muschelkalkleben
das zweite gesicht & mehrfach gebrochen
die zeitungen strotzen vor rüstenden w:orten
an bilder genagelt, noch nie war es anders
morbides bukolisch gierblätterndes HABEN
im internetzwerk der zahlen & panzer
: verschaufelte mönche verschaufelte nonnen


& greise & junge migrantische seelen
gesichter / wie 14fach blutende hirten
die kreuzwegstationen :1 kreuztum & ECCE
serena será la noche que sigue / quiénes somos?
quién soy? es bleibt
bei bahrdunkelheiten & nahtodstrategisch
& reglementiert wird selbst der gesang
am himmel versüchtelt der himmel am mond
: die bilder versaufen in kriegshungeraugen

Für Rebecca Horn


Vielleicht fragen sie sich, weshalb dieses Gedicht – im „dritten Ort“ meiner
Rede? Bon – Ihre mögliche Frage, hier meine Antwort: George Sand war
mit Chopin aus Frankreich auf die Baleareninsel geflohen, um dort ihre Liebe
zu leben. Ein Artikel auf einer Webseite über den berühmten polnischen
Komponisten und Pianisten beschreibt diesen „Liebesausflug“ wie folgt – ich
könnte es nicht inhaltsschöner formulieren:


„Ein Winter auf Mallorca
Frédéric Chopin und George Sand


Chopin beschrieb seine ersten Eindrücke von Mallorca in zahlreichen Briefen.
Er schwärmte von dem Klima, den Farben und der Vegetation. George Sand
liebte vor allem das Meer.
Doch die euphorische Stimmung schlug schnell ins Gegenteil um. Die Mallorquiner
waren dem Paar gegenüber abgeneigt. Ihr Misstrauen resultierte aus den
ungewöhnlichen Lebensumständen George Sands und Chopins: Sie waren
nicht verheiratet, sie war älter als er und die beiden Kinder waren nicht von
ihm. Sie gingen nicht in die Kirche und zu allem Überfluss trugen George und
ihre Tochter Männerkleidung.
Die erhoffte Besserung ihrer Lebensumstände trat nicht ein: Sie waren nach
Mallorca gekommen, um Paris zu entfliehen, wo man dem Paar auch nicht mehr
Toleranz entgegengebracht hatte. Ein anderer Grund für die Wahl Mallorcas
war die erhoffte Linderung Chopins schweren Hustens und der Krankheit von
Maurice. Es zeigte sich keine Besserung: Chopins Zustand verschlechterte sich
zusehends. Schließlich wurde bei ihm die Schwindsucht diagnostiziert.

Aus diesem Grunde wurden sie aus dem anfangs gemieteten Landhaus in
Establiments geworfen. Es wurde sogar Abstand für das verseuchte
Mobiliar verlangt.
Zuflucht fanden sie in dem Kartäuserkloster Sa Cartoixa de Jesús Natzarè
in Valldemossa. Hier bezogen sie zwei zweistöckige Zellen.
Le séjour plus romantique de la terre, so beschrieb George ihre Mönchszelle.
Die Behausung war zwar kalt und feucht, da der starke Winterregen
bereits eingesetzt hatte; George belegte die kalten Steinböden mit Matten
und Fellen und beschaffte Öfen und Federbetten, so dass im Inneren
dennoch eine wohnliche Atmosphäre entstand. Chopin hingegen widmete
sich trotz seiner Krankheit voll und ganz der Musik. In den vier Monaten
auf Mallorca arbeitete er an den 24 Préludes.
Zugleich nahm die Ablehnung durch die Mallorquiner nicht ab. In ihrem
empörten Buch „Ein Winter auf Mallorca“ rächte George sich an dem
Hinterwäldlertum der Bevölkerung Mallorcas, die sie hier mit Hohn und
Spott bedachte. Chopin ging es fortan schlechter, da ihm das mallorquinische
Essen nicht bekam und auch der unbarmherzige Winterregen nicht
aufhören zu wollen schien.
Im Februar 1839 reisten sie ab da es keine Aussicht auf Besserung gab.
Die schlimme Überfahrt nach Barcelona kostete Chopin, der ständig Blut
spuckte, fast das Leben.“ 5


Leben – Liebe – Tod oder
Tod – Liebe – Leben oder
Liebe – Leben – Tod


selbstverständlich hätte die Variation noch weitere Möglichkeiten der
Kombination. Ich belasse es bei diesen drei Ausführungen, und will zum
Schluss meiner Skizze behaupten: ganz bestimmt aber ist Musik die
Einsw:erdung dieser Trinität. Eine Weltsprache der Musik ist Welt Ohr
und Klang. Das her-künftige Ohr in der Welt. Ihr Klang, Welt zu
sein und zu w:erden. Die Poesie der Musik und die Musik der Poesie –
die Sehnsucht nach Liebe und deren Sehnsucht nach Leben.
Die Ohren, meine Damen und Herren, diesem Menschenraum Gehör zu
schenken, sind universell. Im Augenblick der Musik wird der Mensch
Mensch. Überall.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!


1 Gesungene Version des Wiegenliedes von Federico García Lorca, anlässlich der Eröffnung der
International Fryderyk Chopin Music Academy auf dem Gelände des zeit.areals Lahr am 11. Dezember 2015.
2 Span. für „Wiegenlied“

3 Zitiert aus dem Buch „Vier Quartette / Four Quartets“. Suhrkamp. Berlin 2015

4 Zitiert aus dem Buch „Vier Quartette / Four Quartets“. Suhrkamp. Berlin 2015

5 Quelle: www.chopin-musik.com